A Boy’s Life erzählt die unfassbare und grausame Geschichte eines Kindes inmitten des NS-Regimes: Daniel Chanoch ist erst neun Jahre alt, als seine Kindheit im Sommer 1941 endet – nun, mit 91 Jahren schildert er berührend und offen seine unglaubliche Odyssee vom jüdischen Ghetto in Litauen über sechs Konzentrationslager bis nach Palästina.
Synopsis
A Boy’s Life – Kind Nummer B2826 ist nach Ein Deutsches Leben und Marko Feingold – Ein Jüdisches Leben erneut ein digitales Zeitdkokument von außerordentlicher Relevanz, das die Stimme eines engagierten Holocaust-Überlebenden und somit die Erinnerungen an die unvorstellbaren Verbrechen während des NS-Regimes bewegend und mit schonungsloser Offenheit für die Nachwelt erhält. Gleichzeitig weist der Film auch explizit auf die fehlende bzw. unzureichende Erinnerungskultur in Östereich nach dem 2. Weltkrieg hin.
Neben den Interviewszenen mit Daniel Chanoch beinhaltet auch dieser Film wie die beiden Vorgänger eine Vielzahl an Ausschnitten aus Dokumentationen und damaligem Propaganda-Material und ergibt so ein greifbares Ganzes. Der Film hält als wichtiges Zeitdokument Daniel Chanochs unfassbare und grausame Kindheit inmitten des NS-Regimes lebendig und in Erinnerung. Die enorme Wichtigkeit von “Niemals vergessen” wird durch seine persönliche Erzählung, die gleichzeitig für hundertausende ähnliche Schicksale steht, in die heutige Zeit
transportiert.
Daniel Chanochs Kindheit endet mit dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Litauen im Sommer 1941. Der gerade Neunjährige wird Zeuge der Pogrome der litauischen Bevölkerung gegenüber jüdischen Mitbürger:innen. Der Mob stürmt die Häuser der Juden, raubt, brandschatzt und mordet. Um sich vor den eigenen Nachbarn in Sicherheit zu bringen, beschließt Daniels Familie, in das neu eingerichtete Ghetto zu übersiedeln. Dort beobachtet er die Selektionen der Deutschen: wer aufgegriffen wird, wird in eine alte Festung, das Fort 9, gebracht und dort erschossen. Der Tod wird für den Buben zum allgegenwärtigen Begleiter. Nur knapp kann er mit Hilfe seines Bruders Uri einer sogenannten “Kinder-Aktion” entkommen.
All jene Kinder, die nicht rechtzeitig fliehen können, werden ins Fort 9 gebracht und liquidiert.
A child understands.
Daniel Chanoch
I understood it very well, that the ghetto was a
station on the way to death.
Als im Juli 1944 die russische Front immer näher rückt, wird das Ghetto aufgelöst und niedergebrannt. Daniel ist nun 12 Jahre alt. Die Chanochs werden von der SS in Viehwaggons verfrachtet und treten eine Reise mit unbekanntem Ziel an. In Stutthof sieht Daniel seine Mutter und seine Schwester ein letztes Mal, in Landsberg, einem Außenlager von Dachau wird er schließlich auch von seinem Vater und seinem Bruder getrennt. Im Lager herrscht strenge Disziplin. In der Kinderbaracke lernt Daniel den knapp 17-jährigen Wolf Galperin kennen, der sich heimlich eingeschlichen hat, um seinen kleinen Bruder zu schützen. Wolf kümmert sich um die 131 Buben aus Kaunas, beginnt mit ihnen zu exerzieren, bringt ihnen bei, im Gleichschritt zu marschieren und formt aus der Gruppe eine solidarische Gemeinschaft.
Diese Disziplin rettet den Jungen bei ihrem Eintreffen in Auschwitz-Birkenau das Leben. Als der Zug in der Nacht des 31. August 1944 im Vernichtungslager ankommt lässt Wolf die Buben in geordneter Dreierreihe antreten und in militärischer Formation über die Rampe marschieren. Dort werden sie von SS-Männern in Empfang genommen, unter ihnen Hauptsturmführer Dr. Josef Mengele. Amüsiert vom Auftreten der Schar lässt er die Buben vorerst am Leben. Später wird er sie in mehreren Selektionen bis auf wenige töten lassen. Zum Zeitpunkt als die Kinder aus Kaunas in Auschwitz eintreffen, ist die Todesmaschinerie in diesem KZ längst angelaufen.
Day by day.
Daniel Chanoch
You wake up in the morning, as a kid, and you carry dead bodies.
Can you imagine such a thing?
Daniel wird mit den anderen in einer Baracke im Lager Eins untergebracht. An der berüchtigten Rampe, an der die Todestransporte eintreffen, ist Daniel fortan mit den anderen Kindern für die Sicherung von Wertgegenständen verantwortlich, die von ihnen ins Depot gebracht werden. Übrig gebliebene Nahrungsmittel in den Gepäckstücken der Ankommenden dürfen die Kinder behalten. Diese Zusatzverpflegung ermöglicht es ihnen, bei Kräften zu bleiben. Nach ihrem Dienst an der Rampe werden die Jungen zum Abtransport der Toten eingeteilt. In kleinen Gruppen bringen sie die Leichen auf hölzernen Karren, den sogenannten Rollwagen, zu den Krematorien. Neben der Arbeit ist ihr Lageralltag geprägt von stundenlangen Appellen, Zählungen der Häftlinge und regelmäßigen Schikanen. In den Baracken sorgen Kapos mit drakonischen Strafen für Disziplin. Mit den SS-Aufsehern haben die Buben nur wenig Kontakt, umso mehr mit den anderen Häftlingen aus verschiedensten Nationen. Sie haben zwar keine gemeinsame Sprache, doch alle teilen ein gemeinsames Schicksal.
Bei den gelegentlichen Inspektionen des Roten Kreuzes in Auschwitz wird Daniel zum Vorzeigepatienten von Dr. Josef Mengele. Um zu demonstrieren, wie sehr man sich um die jüdischen Häftlinge kümmert, wird Daniel in das Krankenrevier gebracht. Er bekommt Milch und Kuchen und darf die Zeit bis zur Abreise der Delegation in einem sauberen Bett verbringen, um danach in seine Baracke zurückzukehren. Mengele ist offensichtlich angetan vom „arischen“ Aussehen des Buben.
Einige Zeit später erkrankt Daniel an Pocken und es geschieht Unerwartetes: Mengele gibt Anweisung, ihn in die Krankenstation zu bringen und dem „blonden Kind“ Medizin zu geben. Dies rettet Daniels Leben.
Als bereits alliierte Aufklärer über das Lager fliegen und erste Gerüchte kursieren, dass die Front näher rücken und die Deutsche Wehrmacht vor der Niederlage stehen würde, werden Mengeles Selektionen häufiger. An den jüdischen Feiertagen Rosch Haschana und Jom Kippur lässt er die Buben antreten. Seine teuflische Methode ist recht einfach: um zu überleben, muss man eine gewisse Größe haben, die auf einem Stab markiert ist. Von all jenen, die nicht bis zur Markierungslinie reichen, wird die Häftlingsnummer aufgenommen. Danach dürfen alle in die Baracke zurückkehren, später werden die Nummern dann aufgerufen und die Kinder verschwinden für immer. Daniel versucht in den Selektionen keinerlei Angst zu zeigen und einen gesunden, kräftigen Eindruck zu vermitteln. Der Tod ist stets präsent, ihm zu entkommen immer eine Frage des Glücks oder des Zufalls. Im Herbst 1944 sind noch rund 40 der ehemals 131 Buben aus Kaunas am Leben.
Daniel arbeitet wahrscheinlich an der Rampe, als sein Vater mit einem Transport eintrifft und in die Gaskammer geschickt wird. Die Frage, ob sein Vater ihn dort möglicherweise sah, bevor er in den Tod ging, hat Daniel Chanoch nie losgelassen und belastet ihn seit Jahrzehnten. Die folgenden Wintermonate sind geprägt von Hunger und Kälte. Alles, was Daniel beschäftigt, ist von einem Tag zum anderen zu überleben. Die Geschichten, die ihm sein Vater einst über das gelobte Land, „Eretz Israel“, erzählte, geben ihm Kraft und Hoffnung.
Am 18. Januar 1945 werden rund 30 der überlebenden Buben mit anderen Auschwitz Häftlingen auf einen Todesmarsch in Richtung Westen gesetzt. Es herrscht eisige Kälte. Ohne richtiges Schuhwerk, nur in Holzpantoffeln, marschieren sie mit unbekanntem Ziel. Viele sterben an Erschöpfung oder werden von den begleitenden SS-Schergen erschossen. Am Ende ihrer Kräfte werden sie schließlich in einen Zug mit offenen Waggons verladen. Überall liegen Leichen. Um sich zu wärmen, bedecken sich die Buben mit den Körpern der Toten.
Mauthausen has a murdering appearance …
Daniel Chanoch
More murders, more brutal than in any other place.
Incomparable.
Nach mehrtägiger Fahrt erreicht der Zug das österreichische KZ Mauthausen. Das Lager ist um einiges armseliger und die meisten Gefangenen sind in noch schlechterer Verfassung als in Auschwitz. Die Häftlinge sind abgemagert, krank, halb erfroren, halb verhungert. Die Buben bekommen keine Baracke. Sie müssen im Freien übernachten. Das Zeltlager wird regelmäßig von den Alliierten aus der Luft angegriffen, die Postenkette der Bewacher von Tieffliegern beschossen. Nach dem Beschuss finden sich menschliche Überreste in den Stacheldrahtzäunen. Daniel und die anderen Jungen beobachten, wie andere Gefangene diese rasch bergen. In Kesseln über offenen Feuern werden die menschlichen Relikte verkocht. Angewidert vom Geschehen laufen die Buben zu den Feuern, stoßen die Kessel um und lösen damit einen Tumult aus.
Schon bald werden die Häftlinge wieder in Marsch gesetzt. Begleitet von jugendlichen SS-Aufseher: innen erreichen sie das Außenlager Gunskirchen. Dort gibt es nur sechs Baracken, die halb im Schlamm versunken sind. Die meisten der Häftlinge sind krank. Daniel hält sich abseits. Er übernachtet im Freien, nicht in den Baracken, weil er Angst hat, dort auch zu erkranken. Die Zustände im Lager werden in den letzten Tagen des Krieges immer dramatischer. Die Toten werden nicht mehr begraben, sondern in einem nahegelegenen Wald abgelegt. Viele der SS-Wachen tauschen nun ihre Uniformen gegen Häftlingskleidung und fliehen. Das System ist zusammengebrochen. Rund 20.000 waren sie, als sie hier ankamen. Als die 71. Infanteriedivision der US- Armee am 5. Mai 1945 das Lager befreit, sind noch knapp 5.000 der Insassen am Leben. Unter ihnen 27 der 131 Buben aus Kaunas. Der kommandierende US-Offizier, der als erster das Lager betritt, wird später notieren:
This is the true corner of hell!.
Daniel hält es nach der Befreiung nicht länger im Lager. Gemeinsam mit einem Freund verlässt er den Schauplatz des Grauens. Die Jungen quartieren sich im ehemaligen Offiziersclub des Flughafens Hörsching bei Linz ein. Am Rollfeld entdecken die beiden zwei deutsche Kampf-Flugzeuge. Sie beginnen, Teile auszubauen und bei den Amerikanern einzutauschen gegen US-Verpflegungsrationen. Jeder dieser Rationen sind auch Zigaretten beigefügt. So ziehen die beiden Buben alsbald ein florierendes Schwarzmarktgeschäft mit Zigaretten auf, die sie gegen allerlei andere Dinge tauschen. Eines Morgens nähert sich ein Jeep mit einem großen, weißen Davidsstern auf der Kühlerhaube. Es sind Soldaten der Jüdischen Brigade. Von ihnen erfährt Daniel, dass sein Bruder am Leben ist und ebenfalls nach ihm sucht. Angeblich will er nach Palästina. Daniel entschließt sich, nach Italien aufzubrechen, am militärischen Kreuzungspunkt Bologna hofft er, seinen Bruder Uri zu treffen. Auf amerikanischen Militärtrucks und Transporten schlägt sich Daniel bis nach Italien durch.
In Bologna treffen die beiden Brüder wieder aufeinander. Als Tausch für ein gemeinsames Foto bietet Daniel einem Fotografen seine letzte verbliebene Habseligkeit an, eine blaue Fliegerdecke, die er aus dem Offizierskasino am Flughafen Hörsching mitgenommen hatte. Denn dort, wo die beiden nun hingehen wollten, in das gelobte Land „Eretz Israel“, würde er sie nicht mehr benötigen. Die Brüder sind nun wieder vereint, doch es fällt ihnen schwer, Emotionen zu zeigen, über das Erlebte zu sprechen.1946 setzen Daniel und Uri Chanoch auf dem völlig überfüllten Flüchtlingsschiff „Josiah Wedgewood“ illegal nach Palästina über. Die beiden Brüder sind die einzigen der Familie, die die Shoah überlebt haben.